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Tamara Brandt (r.) und ihre Cousine Lina Heinrichsmaier lesen Kindern auf der Station Lebensarche im Lebenszentrum Unna aus Büchern vor
Tamara Brandt (r.) und ihre Cousine Lina Heinrichsmaier lesen Kindern auf der Station Lebensarche im Lebenszentrum Unna aus Büchern vor


WR Bürgerpreis : „Wir wollten etwas Sinnvolles tun“
„Streichhölzer, kaufen Sie Streichhölzer, meine Herrschaften!“ Ganz ruhig ist es in dem hellen, freundlichen Raum in dem Lina Heinrichsmaier neben ihrer Cousine Tamara Brandt auf der Couch sitzt. Beide werden umringt von einem halben Dutzend Kindern, die den sich abwechselnden 14-jährigen Vorleserinnen bei „Pünktchen und Anton“ zuhören. Einige der Kinder wirken teilnahmslos, andere lächeln leicht.

Und alle kleinen Zuhörer teilen ein Schicksal: Sie sind schwerst mehrfachbehindert und haben in der Lebensarche in Königsborn ein zweites Zuhause gefunden. „Wir wollten etwas sinnvolles, ehrenamtliches machen“, erzählt Lina. „Und am liebsten etwas mit Kindern im Krankenhaus oder so“, ergänzt ihre Cousine Tamara.
Damals waren beide 13 Jahre alt. Über ihre Familie kannten sie zudem das Lebenszentrum Königsborn, so dass sie dort zaghaft anfragten – und nun, seit rund einem Jahr, den Kindern von Station 3B jeden Freitag eine Stunde lang vorlesen.

Ein Engagement, von dem Tamaras Lehrer per Zufall erfuhr. Was Ulrich Biederbeck, den Leiter der Gesamtschule Fröndenberg aber so begeisterte, dass er die Mädchen für den Bürgerpreis unserer Zeitung vorgeschlagen hat. „Es ist für 14-jährige Mädchen nicht selbstverständlich, ihre Freizeit für eine solche Aufgabe, die andere Jugendliche sicherlich psychisch sehr stark belasten würde, einzusetzen. Ich habe höchsten Respekt gegenüber Tamara und ihrer Cousine Linda“, begründet der Direktor.

Begeistert von dem „in diesem Alter ungewöhnlichen persönlichen Einsatz“ ist auch Martina Bosse, die pädagogische Leiterin der Lebensarche. „Auch wenn sich die Reaktion der Kinder eher im Kleinen zeigt, bin ich mir sicher, dass sie sich wirklich über die persönliche Zuwendung der Mädchen freuen.“

Davon sind Lina und Tamara auch überzeugt. „Und das merke ich auch, wenn Julia beim Lesen nach meiner Hand greift und sie festhält“, sagt Lina. Die sichtbaren Behinderungen und das Leid der Kinder ertragen zu können, da müsse man darauf achten, „dass man das nicht so stark an sich heranlässt“, meinen beide. „Da beweisen die Mädchen für ihr Alter schon eine große Reife“, sagt Martina Bosse. Denn natürlich habe sie als Pädagogische Leitung auch darauf geachtet, ob die Schülerinnen ihr gut gemeintes Engagement nicht überlastet.

Tut es offenbar nicht. „Denn es gibt uns ja auch ein gutes Gefühl, weil wir wissen, dass wir hier etwas Sinnvolles machen.“ Ob sie sich selbst dadurch verändert haben? „Na, ja, was mir jetzt viel mehr auffällt“, sagt Lina, sei der wenig offene Umgang mit Behinderten in unserer Gesellschaft. „Die meisten, die einem Behinderten auf der Straße begegnen, schauen den so komisch an und sind unsicher wie sie sich verhalten sollen, das finde ich schade.“ Beide fänden es nicht schlecht, wenn Gleichaltrige stärkere Einblicke in das Leben von Behinderten oder älteren Menschen erhalten würden. „Vielleicht durch eine Art soziales Praktikum in der Schule oder so“.

Dass sie jetzt zum Bürgerpreis vorgeschlagen wurden, ist den Mädchen eher peinlich, „eigentlich reden wir sonst gar nicht so darüber“, sagen sie. Einen Beruf im sozialen Bereich wollen beide trotz ihres ungewöhnlichen Ehrenamtes aber nicht ergreifen. Tamara möchte Tierärztin werden und Geschwister-Scholl Gymnasiastin Lina überlegt, „mal Biochemie zu studieren“.

[Der Westen, 16.04.2011]
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