Inklusion ist Alltag an der Gesamtschule in Fröndenberg

 

Nach den Sommerferien gilt in NRW der Rechtsanspruch auf Inklusion. Wie der am besten umzusetzen ist, macht die Gesamtschule Fröndenberg seit Jahren mit viel Engagement vor. „Inklusion kann nur gelingen“, sagt Sonderpädagoge Christopher Meisel, „wenn die Lehrer auch Lust darauf haben.“
„Die Dummen kommen nicht in den Nebenraum“, sagt Christopher Meisel – und räumt damit eines der gängigen Vorurteile gleich beim Betreten des Klassenzimmers aus. Den so genannten Differenzierungsraum, um in Kleingruppen zu arbeiten, gibt es hier in der fünften Klasse an der Gesamtschule Fröndenberg natürlich auch. Doch in dieser Stunde ist die „Bärenhöhle“ nicht besetzt. Stattdessen sind alle 24 Kinder im Klassenzimmer.

An sechs Tischen basteln sie immer zu Viert Collagen. Auf großen Postern schreiben, kleben, malen sie das auf, was sie zuvor im Team zum Thema „Licht“ herausgefunden haben. Wer ist hier aber nun wer? Welches Kind hat Förderbedarf und welches nicht? Für den Besucher ist das nicht zu erkennen; die Klasse ist eins.

In der Klasse meckert niemand
Dann kommt die erste Gruppe, drei Mädchen und ein Junge, vorn an die Tafel, um den anderen ihre Ergebnisse zu erklären. Die erste beginnt, erzählt. Dann irgendwann stupst sie unauffällig ihre Nachbarin an. Die spricht ganz leise, stockend weiter – über die Warnfarben der Tiere am Beispiel des Schmetterlings. Weil sie aber mit dem Gesicht zur Tafel spricht, versteht man sie nicht. Doch in der Klasse meckert niemand, alle haben Geduld, bis ganz sachte eines der Mädchen vorn die Rednerin bei den Schultern fasst und sie ganz selbstverständlich zum Publikum dreht.

„Es ist einfach toll zu sehen, wie die Schüler hier einander mitnehmen“, freut sich Christopher Meisel über die kleine Geste. Darüber wie alle darauf achten, dass jeder einmal zu Wort kommt. Eben auch die, die lernbehindert sind. Oder die, denen der Förderschwerpunkt Sprache bescheinigt worden ist. „Die Kinder lernen so voneinander“, so Meisel. Das selbst gesteckte Klassenziel hat man offenbar erreicht: lernen, andere auszuhalten.

Seit vier Jahren bereits setzt man an der Gesamtschule Fröndenberg um, was für viele weiterführende Schulen erst nach den Sommerferien Pflicht wird: die Inklusion. Damit ist die Fröndenberger Schule zum Vorbild geworden: Hier gucken sich andere ab, wie sich der Rechtsanspruch des gemeinsamen Lernens umsetzen lässt.

In jedem Jahrgang eine integrative Lerngruppe
In jedem Jahrgang gibt es eine integrative Lerngruppe. 24 Kinder sind es pro Klasse; fünf bis sechs von ihnen haben einen Förderschwerpunkt. Die Ressourcen müssen gebündelt werden. Würde man die Kinder auf alle Parallelklassen verteilen, dann könnte ein Förderlehrer nur ein Mal am Tag in den Unterricht hereinschauen, erklärt Meisel. Für die integrativen Lerngruppen aber sind zwei Gesamtschullehrer und ein Sonderpädagoge verantwortlich. In Mathematik, Englisch und Deutsch unterrichten immer zwei von ihnen gemeinsam. Jeder ist für jeden Schüler zuständig. Der Sonderpädagoge ebenso für die Regelschüler wie der Gesamtschullehrer für die Förderkinder. So hat kein Schüler eine Sonderstellung.

Bestimmte Kinder bereiten Lehrern und Eltern mehr Sorgen
Allein die Kinder mit dem Förderschwerpunkt emotionales und soziales Verhalten sind über alle Klassen verteilt. Es sind die Kinder, die Lehrern an Regelschulen, aber auch Eltern vor dem Start der Inklusion meist die größten Sorgen bereiten.

Sie alle in eine Klasse zu stecken, würde für zu viel Unruhe sorgen, lässt Christopher Meisel durchblicken. Stattdessen treffen sich die Kinder morgens um sieben Uhr vor dem Unterrichtsbeginn mit einem Sonderpädagogen. Zusammen räumen sie ihre Schultaschen auf, stecken sich Ziele für den Tag.

Kontrollieren dann nachmittags gemeinsam, ob sie diese geschafft haben. In den Mittagspausen besuchen sie zudem Fördersportkurse oder ein Sozialkompetenztraining. Denn im Unterricht lasse sich gut mit den Kindern umgehen, erzählt Christopher Meisel. Eine Herausforderung sei dagegen vor allem die Zeit außerhalb der strukturierten Schulstunden.

Konzept wichtig vor Start der Inklusion
Ein Konzept sei wichtig vor dem Start der Inklusion, mahnt Christopher Meisel. Eine gute Ausstattung zudem. Zum Beispiel mit Nebenräumen. Wohlgemerkt nicht, um hier allein die Kinder mit Förderschwerpunkt zu versammeln. Denn so würde man der Idee der Inklusion wohl nicht gerecht. Noch wichtiger aber sei eine „Aufbruchstimmung“ wie unter seinen Kollegen, sagt Christopher Meisel. Wenn die Lehrer keine Lust darauf hätten, dann werde es schwierig mit der Inklusion.

(WP, vom 01.05.2014)

gemeinsames Lernen, individuelle Förderung, Inklusion
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