Hanna Matthäus ist ein Kind des Ruhrgebiets und baute 1975 ihr Abitur auf demselben Gymnasium in Mülheim an der Ruhr wie die frühere Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, allerdings fünf Jahre früher. Danach studierte sie Englisch und Kunst auf Lehramt und kommt heute auf 39 Berufsjahre.
Mit 36 erst konnte sie aber ihre erste Stelle im Öffentlichen Dienst antreten, denn es gab Zeiten, da wurde Lehrern mit viel Glück eine halbe Stelle angeboten. Einige Jahre pendelte sie dann von Wickede zu einer Gesamtschule im Aufbau nach Duisburg-Ruhrort, bis sie über die Peter-Weiss-Gesamtschule in Unna 2003 nach Fröndenberg kam.
Zentralabitur hat Kritikern den Wind aus den Segeln genommen
Beworben hatte sich die 63-Jährige auf die Position einer Oberstufenleiterin. Eine Aufgabe, die viel Koordination erfordert und vor allem die Abnahme der Reifeprüfung. „Ich habe 26 Mal das Abitur abgenommen, aber nur einmal bestanden“, sagt Hanna Matthäus und lacht. Dass sie dies einmal an einer Gesamtschule tat, hätte sie als junge Studentin womöglich nicht unterschrieben.
„Wir waren stramm gegen die Gesamtschule und für ein dreigliedriges Schulsystem eingeschworen“, erinnert sich Hanna Matthäus an einen Besuch des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Rau an ihrer Uni in Siegen, der die Gesamtschule propagierte.
Viel von Einheitsschule und Gleichmacherei sei damals bei den Kritikern des neuen Schultyps die Rede gewesen. Das ließ die Lehramtsstudenten nicht unberührt. „Wir selbst waren naiv und ideologisch geprägt“, gibt Hanna Matthäus zu. Selbst als Lehrerin war sie noch mit dem oftmals mäßigen Ruf der Gesamtschulen konfrontiert.
Allerspätestens seit der Einführung des Zentralabiturs in NRW vor 13 Jahren seien kritische Stimmen aber mehr und mehr verstummt. Denn seitdem sind die Leistungen der Abiturienten an Gymnasien und Gesamtschulen vergleichbar. „Das Ansehen in der Öffentlichkeit und das Selbstbild der Schüler ist besser geworden“, findet Hanna Matthäus.
Als kürzlich Tausende Schülerinnen und Schüler sogar mit einer Online-Petititon gegen das schriftliche Mathe-Abi protestierten, weil die Aufgaben angeblich zu schwierig gewesen seien, passierte an der GSF – nichts. „Das lief bei uns völlig glatt durch“, sagt Matthäus achselzuckend.
Abitur-Notendurchschnitt auf dem Niveau der Gymnasien
Auch der Notendurchschnitt beim Abi liege an der Gesamtschule in etwa auf dem Niveau der Gymnasien. Allerdings beobachtet die Oberstufenleiterin, die am Freitag verabschiedet wird, seit drei Jahren einen anderen Trend: Relativ viele Schüler verlassen die Schule nach der 12. Klasse und beginnen eine Ausbildung.
Über die Gründe kann sie nur spekulieren, jedenfalls dürfte es an Ausbildungsplätzen nicht mangeln. Die Unternehmen suchten ja händeringend nach Absolventen. Da ist der höchste Abschluss mit der Spitzennote nicht unbedingt gefragt. „Da spielen auch Soft Skills eine Rolle“, weiß Hanna Matthäus: vor Publikum auftreten und etwas präsentieren zum Beispiel, Ordnung halten oder Teamfähigkeit.
Internet hat die Schulbibliothek als Lernort abgelöst
Neue Lernmethoden der Schüler – dem Internet sei Dank – müsse man akzeptieren. Immerhin verknüpfe man ja auch die Schulhomepage mit Facebook. Bedauerlich sei, das die Schulbibliothek dadurch seltener benutzt werde. Wikipedia als von Laien gemachtes Portal sei aber für die wenigsten eine seriöse Alternative, ist sich Hanna Matthäus sicher.
Denn auf ihre Schüler lässt sie nichts kommen. Der Abschied vom Lehrerberuf fällt besonders schwer. Sie habe immer bewundert, auf welchem hohen moralischen Niveau über Themen wie Organspende junge Erwachsene auch in einer Fremdsprache diskutieren können. „Das wird mir am meisten fehlen.“
(Hellweger Anzeiger, vom 12.07.2019)