Digitalisierung fördert und fordert

„Die Schüler fit machen für das, was da draußen auf sie zukommt“

Kleine Gruppen von Schülern sitzen verteilt im Klassenraum an den Tischen. Einige haben sich in den Nebenraum zurückgezogen, andere kauern auf dem Boden draußen auf dem Flur. Es ist nicht das Geräusch von Stift auf Papier, das momentan die Atmosphäre der Klasse 6.1 prägt. Es ist das leise Murmeln der Mädchen und Jungen, die sich besprechen und konzentriert auf ihren Tablets tippen. Alessandra di Sorbo, Mathe- und Klassenlehrerin, geht herum und hilft, wenn nötig. Wo denn das Omega-Zeichen in der App zu finden sei. Und der Bruchstrich? Beides selber zeichnen, das kann die App nicht. Plötzlich rennen Lotta und Paulina aufgebracht vom Flur in den Klassenraum. „Das ganze Video ist auf einmal weg, alle Arbeit umsonst, nur weil das WLAN auf dem Flur nicht geht.“

Die Kinder sollen heute in Gruppen eine Aufgabe zur Wahrscheinlichkeitsrechnung lösen und ihren Lösungsansatz in einem Erklärvideo festhalten. Frau di Sorbo weiß, dass sich auf diese Art der Stoff nachhaltig festigt. Die Ergebnisse der Gruppen werden vom Tablet aus nach vorne auf den Flachbildfernseher projiziert. Unter dem Fernseher hängt eine grüne Kreidetafel. Sie erinnert an die Zeit jenseits der smarten Technologien.

„Wir müssen um jeden Cent kämpfen“

Die Klasse 6.1 ist eine von 12 iPad-Klassen an der Gesamtschule Fröndenberg. Vor sieben Jahren begann man, die Tablet-PCs der Marke Apple anzuschaffen. Mittlerweile ist die Digitalisierung in vollem Gang. Neben 259 iPads besitzt die Schule drei Computerräume und vier Laptopwagen, einen Technikraum mit 3D-Drucker und eine Roboter-AG mit umfangreicher Ausstattung. In den meisten Klassenräumen hängen interaktive Whiteboards und Smartboards statt klassischer Tafeln. Die Anschaffung der Geräte an sich sei nicht das größte Problem. Man müsse natürlich um jeden Cent kämpfen, erklärt Schulleiter Klaus de Vries. Aber letztendlich finde sich dafür immer Geld. Die wahre Herausforderung liege darin, die Geräte am Laufen zu halten und die Administration durch genügend Menpower zu gewährleisten. „Jeder Betrieb hat dafür eine IT Abteilung. Das haben die Schulen noch nicht, das ist das administrative Problem.“ Auch die Zahlungen durch das Land NRW reichten höchstens für einmalige Anschaffungen aus. Dennoch, der Kampf um das Geld ist nötig: „Ich muss die Schüler fit machen für das, was da draußen auf sie zukommt.“

Einige Grundvoraussetzungen fehlen noch immer

Als erster präsentiert Florian seinen Lösungsansatz. Über den Flachbildschirm vorne zeigt er die Zeichnungen, die er auf dem Tablet angefertigt hat. Auf einmal verschwinden Florians Name und seine Präsentation vom Bildschirm. Stattdessen erscheint der Name Marlis. Allerdings gibt es gar keine Marlis in der Klasse. „Echt gruselig!“ Frau di Sorbo beruhigt die Schüler: ein Kind aus der Nachbarklasse hat den falschen Fernseher angewählt. Nur ein kleiner Zwischenfall.

Aber auch größere Zwischenfälle mit der Technik behindern den Ablauf. Vor zwei Wochen wurde der Server wegen Modernisierung ausgetauscht, die Schule blieb so lange offline. Heute kommen manche Kinder immer noch nicht ins WLAN, daher die Arbeit in Gruppen. „Die Kreidetafel ist immer da, die funktioniert auch immer. Bei der Technik wird uns das begleiten, dass Dinge auf einmal nicht mehr funktionieren“, sagt Schulleiter de Vries. Auch die Internetverbindung ist ein leidiges Thema. Innerhalb der Schule liegen zwar Glasfaserkabel, aber die Infrastruktur außerhalb reicht nicht für eine anständige Versorgung. Immerhin soll dieses Thema bald vom Tisch sein: die Stadt Fröndenberg plant den Ausbau der Breitbandleitung im Laufe des Jahres 2018.

„Medien sind Hilfsmittel, nicht die Sache“

Für Lehrerin Alessandra di Sorbo sind technische Ausfälle verkraftbar. Das iPad ist für sie, wie Zirkel und Geodreieck, nur ein Werkzeug. Vielen sei aber gar nicht klar, dass Digitalisierung in der Schule nicht gleich bedeutet, nur die Medien um der Medien Willen zu nutzen. Es ist Frau di Sorbo ein Anliegen, dieses Vorurteil zu beseitigen: „Medien sind Hilfsmittel, nicht die Sache. Der Einsatz muss Sinn machen.“ Sinn mache er vor allem bei der Förderung und Forderung der Kinder auf unterschiedlichen Niveaustufen. Mit bestimmten Apps könne man in zwei Minuten ein Arbeitsblatt erstellen, ohne viel Aufwand, für jedes Niveau.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung dringen jedoch nicht zu jedem Lehrer durch. Die Hälfte des Kollegiums hat sich ein iPad angeschafft. Schulleiter Klaus de Vries ist überzeugt, dass die Bereitschaft da ist, jedoch gerade die älteren Kollegen viel mehr Unterstützung brauchen. „Man kann von keinem Kollegen, der kurz vor der Pension steht, verlangen, sich da reinzufuchsen“, meint Alessandra di Sorbo. Sie selbst übernahm 2016 nach dem Referendariat eine iPad-Klasse, hat in einer Fortbildung Grundlagen erlernt und per Learning by Doing die Möglichkeiten für sich entdeckt.

„Mehr iPad!“

Die Klasse 6.1 liebt die Arbeit mit den Tablets. Akribisch arbeiten die Kinder an den Aufgaben, die Frau di Sorbo ihnen gestellt hat. Den Umgang mit den Medien selbst erlernen die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Medienkompetenz-Unterrichts. Dort wird die Bedienung der Technik geübt, aber auch aufgeklärt über Datenschutz und Cybermobbing. „Man muss jedem einzelnen sagen: Du musst für dich persönlich aufpassen, was mit dir passiert, wenn du das so und so nutzt. Die Nutzung der Geräte mit einer klaren Wertvorstellung zu verbinden ist die Aufgabe der Schule,“ meint Klaus de Vries. Es sei außerdem wichtig, den Schülern klare Regeln mitzugeben, um zu vermeiden, dass das iPad zum Spielgegenstand wird.

Die Klasse 6.1 nimmt diese Regeln ernst: „Natürlich könnte ich auch im Unterricht am iPad herumspielen“, sagt Rebecca. „Aber das mache ich nicht, sonst werde ich ja nicht fertig.“ Sie und ihre Sitznachbarin Mila sind sich einig: dadurch, dass sie ihre Lösungen und Ideen im Vorhinein im Video festhalten, können sie diese der Klasse präsentieren – ganz ohne Lampenfieber. Was man am Unterricht noch verbessern kann? „Mehr iPad!“ Profihafter Umgang mit den Geräten und eigenständiges Arbeiten – beinahe könnte man vergessen, dass die Kinder erst in der 6. Klasse sind. Klar wird das erst wieder, als sich Gruppen für ein Quiz bilden. Auf dem Bildschirm sieht man: eine der Quizgruppen hat sich „Die Pupsis“ genannt.

Patricia Gabor

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