„Ich bin so stolz auf mich, dass ich es auf so eine Schule geschafft habe und nun meinen Hauptschulabschluss mache“, sagt eine 15-jährige Schülerin. Sie ist das beste Beispiel dafür, wie gut die Inklusion an der Gesamtschule funktioniert.
Das Mädchen gehörte zu jenen Kindern, die vor viereinhalb Jahren in der Gesamtschule die erste integrative Lerngruppe besuchten. Nachdem es zunächst zwei Jahre lang zur Grundschule ging, wechselte es mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf Lernen zur Soden kampschule – und zwei Jahre später schließlich zur Gesamtschule. Es war ein Vorschlag von Christoph Meisel, der damals noch Lehrer an der Soden kampschule war, aber zur Gesamtschule wechselte, um dort die integrativen Lerngruppen aufzubauen. Er erkannte gleich, dass diese neue Lernform an der GSF eine Chance für das Mädchen sein könnte. Und so war es auch. „Sie hat sich durchgekämpft, toll entwickelt und nach den ersten Erfolgserlebnissen immer mehr Fahrt aufgenommen“, freut sich Meisel.
Die integrativen Lerngruppen haben sich inzwischen verändert, sind heute Klassen des gemeinsamen Lernens geworden. In Fröndenberg gibt es derzeit sechs solcher Klassen – vom fünften bis zum neunten Jahrgang. Im nächsten Schuljahr sollen noch zwei weitere hinzukommen. In den Klassen des gemeinsamen Lernens werden etwa eine Handvoll Kinder mit den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten Lernen und geistige Entwicklung zusammen mit 15 bis 18 Regelschülern unterrichtet. „Jeder hat seine Begabung und jeder lernt hier mit Unterrichtsmaterialien auf seinem Niveau, aber immer zum gleichen Thema“, erklärt Meisel das Prinzip, bei dem in den Hauptfächern stets zwei Lehrer gemeinsam unterrichten. Dazu verfügen die Klassen über eine etwas andere Ausstattung als die anderen. Zum Beispiel über mehr Präsentationsfläche und Ablagemöglichkeiten und einen Differenzierungsraum, der es ermöglicht, sich auch mal zurückzuziehen und mit speziellen Montessori-Materialien zu arbeiten.
Doch Inklusion findet an der GSF nicht nur in den Klassen des gemeinsamen Lernens statt, sondern auch in den Regelklassen. Dort lernen vereinzelt sogenannte ESE-Kinder mit Regelschülern. Das sind Kinder, die einen Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung haben – und für Schulen eine große Herausforderung darstellen. „Sie bereiten vielen Schulen Kopfzerbrechen, denn diese Kinder schaffen es, das Klassensystem zu sprengen und Lehrer auf Trab zu halten“, weiß Meisel.
Das zu unterbinden, versucht die Gesamtschule mit einem Modell, das die Lehrer der Gesamtschule im Laufe der Jahre entwickelt haben. Es strukturiert den Schulalltag von ESE-Kindern genau durch. Und es greift, noch ehe der Gong zur ersten Unterrichtsstunde ertönt. In der sogenannten 0-Stunde steckt Schulsozialarbeiterin Ina Dorn mit ESE-Kindern die Ziele eines jeden Tages fest. Keine unlösbaren Herausforderungen, sondern kleine, reale Ziele, etwa die Mitschüler nicht zu ärgern. „Danach gehen die Schüler aufgeräumt in den Unterricht“, weiß Meisel.
Und dort wird das Konzept mit einem Sonnensystem fortgesetzt; eine Art Punktesystem, bei dem die Sonne der ESE-Kinder immer mehr Strahlen verliert, je weniger Ziele erreicht werden. In den Pausen, die den ESE-Kindern durch die fehlende Struktur große Schwierigkeiten bereiten, finden für sie besondere Angebote statt. Dazu gibt es Aufmerksamkeits- und soziales Training. Und die Time-out-Karte die die Kinder ziehen können, wenn sie mal eine Auszeit brauchen. Dann gehen sie zu den Schulsozialarbeitern, die sie auffangen. Am Ende einer jeden Woche reflektieren die Kinder mir ihnen, wie die vergangenen Tage gelaufen sind – und nehmen die Ziele für die nächste Woche ins Visier.
„Wir dürfen Inklusion nicht als Makel verkaufen, sondern als Chance für alle Schüler.“
Koordinator für Gemeinsames Lernen, Christoph Meisel
Doch zurück zur ehemaligen Sodenkampschülerin, die an der Gesamtschule Erfolgsgeschichte schreibt. Nach drei Jahren des gemeinsamen Lernens konnte ihr Förderbedarf zu Beginn der 8. Klasse aufgehoben werden. Jetzt besucht sie die neunte Klasse, ist voller Tatendrang und hat den Hauptschulabschluss im Visier; vielleicht gelingt sogar die Mittlere Reife. „Ich weiß, wofür ich das alles mache – für mich selbst“, sagt sie – und beschert Christoph Meisel damit immer wieder eine Gänsehaut. Denn es sind Schüler wie die 15-Jährige, die ihn in seiner täglichen Arbeit als Koordinator für das Gemeinsame Lernen an der Gesamtschule bestärken.
Manche Eltern verweigern sich dem Modell
Inklusion ist wichtig – das steht für Gesamtschulleiter Klaus de Vries außer Frage. Doch sie birgt in seinen Augen auch ein Risiko – nämlich, dass Eltern sich dem verweigern und ihre Kinder am Ende nicht in Schulen anmelden, die wie die GSF die Inklusion leben. „Es gibt einen großen Anteil von Eltern, die für die Inklusion sind – aber bitte nicht für ihr Kind“, weiß de Vries von Müttern und Vätern, die ihr Kind am Ende dann doch lieber an einem Gymnasium anmelden, um es dort besser zu fördern.
Doch damit Inklusion funktioniert, sei Leistungsheterogenität, also das gemeinsame Lernen von leistungsstarken und -schwachen Schüler, Voraussetzung. Dass schwache Schüler das Niveau im Unterricht senken, sei falsch. „Vom gemeinsamen Lernen profitieren alle Schüler, egal, welche Voraussetzungen sie mitbringen“, sagt Christoph Meisel und untermauert das mit Untersuchungen. Die Leistungen aller Schüler seien mindestens vergleichbar mit denen, die gemeinsam lernen; mitunter sogar besser. Sogar deutlich besser schneiden Schüler, die gemeinsam lernen, im Sozialen ab, so Meisel. Er appelliert Meisel: „Wir dürfen Inklusion nicht als Makel verkaufen, sondern als Chance. Alle Schüler profitieren vom gemeinsamen Lernen.“
[HA, vom 21.02.2015, von Jennifer Freyth]